Exkurs zu den gebisslosen Westernzäumen
Gebisslose Westernzäume werden häufig als sanftere Alternative zu den Zäumungen mit Gebiss gesehen. Das trifft so jedoch nicht immer zu. Um die gewünschte sanfte Wirkung einer gebisslosen Zäumung erzielen zu können, gehört diese in die Hände von erfahrenen Reitern mit feiner Hand und unabhängigem Sitz, sodass die Kommunikation zwischen Pferd und Reiter theoretisch auch unabhängig der Zügelhilfen funktioniert. Es erfordert somit ein grosses Mass an Horsemanship – einer einfühlsamen Beziehung zwischen Pferd und Reiter – damit die Hilfen möglichst gering dosiert gegeben und verstanden werden.
Doch kurz zur Geschichte der gebisslosen Reitweise: bereits in zahlreichen alten Reitkulturen gab es aus unterschiedlichen Gründen gebisslose Varianten – sei es aufgrund der Materialknappheit oder dass metallische Gegenstände wie bei den Vaqueros als Zeichen der Unterdrückung durch die spanischen Konquistadoren verboten waren.
Die heute bekannten gebisslosen Zäumungen, die in der Westernreitweise Verwendung finden, haben ihren Ursprung in der altkalifornischen Reitweise, die durch die eben genannten Vaqueros geprägt wurde. Sie fanden Alternativen, um den materiellen Restriktionen der Konquistadoren zu entgehen und verwendeten unter anderem das Bosal, das in vergleichbarer Form bereits in der Zeitrechnung vor Christi Geburt in Nordafrika und Vorderasien an Kamelen angewendet wurde.
Gebisslose Zäumungen werden heutzutage von Reitern genutzt, die aus unterschiedlichen Gründen nach gebisslosen Alternativen suchen – häufig aus der Ansicht heraus, dass gebisslose Zäumungen „sanfter“ sind, oder aber aber auch, um Pferden mit zahngesundheitlichen Problemen oder einem extrem empfindlichen Maul eine Ausweichmöglichkeit zum Reiten mit Gebiss zu bieten. Zwar sind gebisslose Zäumungen maulschonend, jedoch kann können diese bei unsachgemässer Nutzung und groben Reiterhilfen auch eine scharfe Wirkung entfalten, insbesondere auf das empfindliche Nasenbein.
Doch egal ob man mit oder ohne Gebiss reitet. Im Vordergrund steht immer die Voraussetzung und das Ziel, als Reiter so sanft wie nur möglich auf das Pferd einzuwirken, insbesondere wenn es um die Zügelhilfen geht. Gebisslose Zäumungen setzen genau wie bei Zäumungen mit Gebissen eine feine Hand voraus, die nur in Kombination mit weiteren Hilfen dazu führt, dass das Pferd sensibel auf die Hilfen reagiert.
Im Anschluss stellen wir dir die im Westernbereich beliebtesten gebisslosen Zäumungen vor:
Bosal / kalifornische Hackamore
Das Bosal – auch kalifornische Hackamore genannt – besteht aus dem Bosal – dem geflochtenen Nasenriemen, der aus echter Rohhaut besteht, der Mecate – dabei handelt es sich um die Zügel, die auf spezielle Art und Weise an den sogenannten Heel Knot unter dem Kinn des Bosals geknotet wird sowie dem Hanger – dem Lederriemen, der als Kopfstück und „Aufhängung“ für das Bosal dient. Teilweise sind auch Kombinationen mit einem herkömmlichen Kopfstück üblich.
Die Mecate bestand früher ausschliesslich aus Schweifhaar und war entsprechend hart und unflexibel und geradezu „pieksig“. Meist reichte damit auch schon die sanfte Berührung des Halses durch die Zügel, sodass das Pferd der Berührung ausweicht. Diese Art der Hilfengebung über den Pferdehals ist im Westernreiten auch als Neckreining bekannt.
Neben der Zügeleinwirkung auf den Pferdehals ist beim Bosal die Wirkung über den Nasenriemen ausschlaggebend. Das Bosal ist relativ starr, demnach herrscht zwischen Nasenriemen und Pferdekopf noch viel Spielraum. Durch die Bewegung der Zügel entsteht punktuell Druck auf dem Bosal, dem das Pferd ausweicht.
Empfindliches Näschen
Bedenke dabei, dass das Nasenbein des Pferdes extrem empfindlich ist und du auf sanfte Signale zurückgreifen musst, um deinem Pferd nicht zu schaden. Eine zu harte Zügelführung bei einem Bosal kann – wie bei allen gebisslosen Zäumungen – nicht nur zur Abstumpfung des Pferdes, sondern sogar zu Verletzungen wie Knochenschäden führen! Zudem solltest du das Bosal erst dann nutzen, wenn dein Pferd unabhängig an den Hilfen steht und mit Impulsen geritten werden kann. Ein Bosal ist nicht geeignet, um in dauerhafter Anlehnung zu reiten.
Worauf sollte ich beim Kauf und bei der Verwendung des Bosals achten?
- Im Gegensatz zu anderen gebisslosen Varianten wie dem Knotenhalfter gilt beim Bosal: je schwerer und dicker die Qualität, desto intensiver ist die Wirkung auf das Pferd. So verwendet man in der Jungpferdeausbildung zunächst massivere Ausführungen und steigert sich mit zunehmender Sensibilität des Pferdes auf dünnere und leichtere Varianten. Die Dicke des Bosals misst man in Inch. Standard-Bosale sind meist 5/8 Inch dick. Beachte hierbei auch das Gewicht der Mecate, die durch den Zug nach unten ebenfalls mehr Druck auf den Nasenriemen ausüben kann.
- die Qualität des Bosals ist essentiell wichtig, insbesondere der Nasenriemen kann bei ungeeignetem Material zu stark scheuern. Der Nasenriemen ist traditionell und zweckmässig aus Rohhaut, während die Mecate mittlerweile häufig auch aus Baumwolle oder Nylon besteht und nicht nur für das Pferd, sondern auch für die Reiterhand deutlich weicher und angenehmer ist.
- das Bosal sollte an die Kopfform deines Pferdes angepasst werden und nicht zu eng anliegen, da der Spielraum entscheidend bei der Einwirkung ist. Das Pferd soll nur punktuell Signale erhalten und nicht in Dauerverbindung mit dem Bosal sein. Es lässt sich in der Regel gut in die richtige Form biegen. Beachte dabei die Zwei-Finger-Regel. Jeweils zwei Finger breit Abstand zum Jochbein und jeweils zwei Finger breit Abstand zwischen Mecate und Pferdekinn.
Warum liegt der Hanger immer so nah am Auge?
Bedingt durch die Tatsache, dass das Bosal nicht passgenau um den Pferdekopf verschnallt wird, sondern es eher mittels des Hangers einfach nur „herabhängt“ und die Pferdenase mit viel Spielraum umschliesst, liegt der Lederriemen des Hangers oftmals ziemlich nah an den Augen des Pferdes. Sollte dein Pferd empfindlich darauf reagieren, kannst du ein sogenanntes Tie Back verwenden, mit dem du die Position des Hangers verändern kannst.
Wie bindet man die Mecate?
Sidepull
Das Sidepull ist mitunter die bekannteste und geläufigste gebisslose Zäumung. Sie wird gleichermassen von Westernreitern als auch von Dressur- sowie Freizeit- und Wanderreitern genutzt. Es ist im Prinzip wie ein herkömmliches Reithalfter aufgebaut und verfügt zwischen Nasen- und Kinnriemen über einen beweglichen Ring, an dem die Zügel befestigt werden.
Wie der Name bereits sagt, wirkt das Sidepull seitlich auf das Pferd ein und überträgt den Zug auf den Nasenriemen. Ursprünglich wurde es von Westernreitern zum Anreiten von Jungpferden verwendet, um diese in Kombination mit Schenkel- und Gewichtshilfen beim Erlernen der seitwärts treibenden Hilfen zu unterstützen. Die Wirkung hängt sehr stark von der Ausführung des Nasenriemens ab. Ein breiter Nasenriemen aus weichem Leder verteilt den Druck besser als ein schmales und rundgenähtes Nasenteil.
Auch Varianten aus Rohhaut oder Seil wirken durch ihre materielle Beschaffenheit punktueller auf die Nase ein und erfordern somit noch mehr Feingefühl bei der Hilfengebung seitens des Reiters und eine sensiblere Annahme der Hilfen seitens des Pferdes.
Worauf sollte ich beim Kauf und bei der Verwendung des Sidepulls achten?
- Achte beim Kauf darauf, dass das Sidepull eine optimale Passform für dein Pferd hat. Da die Wirkung hauptsächlich über den Nasenriemen erfolgt, sollte dieser auf keinen Fall zu tief sitzen und 2 Finger breit unter dem Jochbein liegen.
- Behalte bei der Auswahl des Sidepulls auch den Charakter deines Pferdes sowie das Ausbildungsniveau von dir und deinem Pferd im Blick. Ist dein Pferd sehr temperamentvoll und benötigt dadurch deutlichere Impulse bei der Hilfengebung? Ist es schon mal gebisslos geritten worden und bereits mit den gebisslosen Hilfen vertraut? Geht es sensibel auf deine Hilfengebung ein? Wie ist der Ausbildungsstand von euch als Pferd-Reiter-Paar? Hast du eine feine Hand bei der Hilfengebung?
- Für Sidepull-Neulinge empfiehlt sich in den meisten Fällen eher ein breiterer Nasenriemen. Hat man wiederum ein sehr temperamentvolles Pferd, ist eine schmalere Variante aus Rohhaut oder Seilen besser, um gezielter einwirken zu können. Dies wiederum setzt einen feinen und solide ausgebildeten Reiter voraus.
- Stelle dir zuvor auch die Frage, in welchem Reitstil du mit dem Sidepull reiten möchtest. Ein dressurmässiges Reiten in Anlehnung ist möglich, vorausgesetzt es handelt sich um ein Sidepull mit breitem und weichem Nasenriemen. Bei den schmalen Varianten aus Seilmaterial ist dauerhafter Kontakt kontraproduktiv und kann dem Pferd Schmerzen bereiten. Hier ist dann eher die Westernreitweise mit punktuellen Hilfen am sonst langen Zügel angeraten.
- Da die Einwirkungsmöglichkeit durch das Sidepull seitlich orientiert ist, ist die Vermittlung von Zügelhilfen zum Anhalten eher als gering anzusehen. Stelle vor der Verwendung des Sidepulls sicher, dass du dich auch ohne Zügelhilfen darauf verlassen kannst, dass dein Pferd sich gut über Gewichtshilfen anhalten lässt.
Mechanische Hackamore
Die mechanische Hackamore wird auch als Aussenkandare bezeichnet – dementsprechend vergleichbar ist auch die Wirkung. Es handelt sich um eine Zäumung mit Hebelwirkung, die auf Nase, Kinn und das Genick wirkt und somit über eine scharfe Wirkung verfügt. Das prägnanteste Merkmal einer mechanischen Hackamore sind die Anzüge – die sogenannten Shanks – die mittels einer Querstange unter dem Kinn auf Abstand gehalten werden. Damit diese nicht verkanten, wird eine mechanische Hackamore ausschliesslich einhändig geritten. Bereits kleinste Impulse kommen beim Pferd an den Wirkpunkten an, sodass ein hoher Ausbildungsgrad bei Pferd und vor allem beim Reiter erforderlich sind. Häufig wird eine Hackamore verwendet, um bei sehr temperamentvollen Pferden das Tempo zu regulieren.
Worauf sollte ich beim Kauf und bei der Verwendung einer mechanischen Hackamore achten?
- Hinterfrage deinen Ausbildungsstand und den deines Pferdes. Feine Hilfen sind essentiell, um effektiv mit der Hackamore zu arbeiten. Bei unsachgemässer Nutzung und zu starken Impulsen kann die Hackamore grossen Schaden – insbesondere an der empfindlichen Nase des Pferdes – anrichten und zu ernsthaften Verletzungen führen.
- Welcher Reitweise gehst du nach? Bedenke, dass mit der mechanischen Hackamore ausschliesslich einhändig geritten wird. Ein Reiten in Anlehnung ist nicht möglich, da ein permanenter Druck durch diese Reitweise sich kontraproduktiv auswirkt.
- Je länger die Anzüge, desto schärfer wirkt die Hackamore. Die Hebelwirkung verstärkt sich mit der Länge der Anzüge.
Reiten mit Knotenhalfter – geht das?
Das Knotenhalfter hat seine Ursprünge im Westernbereich und ist nach wie vor ein beliebtes Utensil für Bodenarbeit & Co. In Horsemanship-Kreisen wird das Knotenhalfter auch für Training auf dem Pferd verwendet – so zum Beispiel als sogenannte Natural Hackamore. Hierbei wird ein Führseil in einer speziellen mecateähnlichen Technik an das Knotenhalfter befestigt. Mittlerweile gibt es auch spezielle Knotenhalfter- oder Wanderreithalfter-Sets, die mit Ringen zum Einhängen von Zügeln ausgestattet sind.
Ebenso wie bei den anderen gebisslosen Zäumungen ist zu beachten, dass das Knotenhalfter bei unsachgemässer Nutzung erhebliche Schäden verursachen kann und daher nur in erfahrene Hände gehört, die damit fein auf das Pferd einwirken können.
Aufgrund der Beschaffenheit des Seils und der geringen Seilstärke wirkt ein Zug auf das Knotenhalfter punktuell und direkt, während sich der Druck bei einem herkömmlichen Stallhalfter mit breiteren Riemen besser verteilt.
Daher gilt auch beim Reiten mit Knotenhalfter: Ausbildungsstand von Pferd & Reiter müssen auf einem hohen Niveau liegen. Das Pferd sollte auf die feinen Hilfen des Reiters reagieren, damit eine schonende und einfühlsame Kommunikation stattfinden kann.
Gebisslose Zäume bei Krämer Pferdesport
Immer Turnierregelwerk beachten
Gerade im Westernreitsport gibt es unterschiedliche Regelwerke, die es zu beachten gilt, je nachdem, welcher Verband Turnierveranstalter ist.
Setze dich vor Turnierteilnahme unbedingt mit den geltenden Turnierregeln auseinander und erfrage ggf. beim Veranstalter, welche Ausrüstung zugelassen ist!